Erinnerung an Rupert Lay

Mit 23 Jahren bereits, entschied er sich, Jesuit zu werden. Er studierte Theologie, Philosophie, später noch theoretische Physik, Psychologie und Betriebswirtschaft. Danach war er als Professor für Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie an der renommierten Hochschule St.Georgen in Frankfurt, sowie als Psychoanalytiker und als Management-Lehrer tätig.

Er hat mehr als 40 Bücher geschrieben, mit denen er vor allem Führungskräfte erreichen wollte. Viel gelesen wurden Titel wie Dialektik für Manager, das 20 Auflagen erlebte, Führen durch das Wort, Ethik für Manager. Aber er schrieb auch über die Macht der Unmoral, die Kultur des Unternehmens und über Die Liebe zum Leben. In seinen theologischen Büchern gab er sich streitbar und kirchenkritisch. Sein Buch Nachkirchliches Christentum führte zu einem Skandal und 1996 zum Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis. Er hatte darin der Kirche vorgeworfen, sie habe mehr mit Macht, als mit Christentum zu tun.

Seine Bücher waren keine Konsumartikel und nicht als Nachttisch-Lektüre geeignet. Er folgte in ihnen einer jesuitischen Tradition, die auf Stringenz der Gedankenführung und begrifflicher Genauigkeit beruhte. So wurden zentrale Begriffe immer wieder genau definiert und auf eine Weise in Beziehung zueinander gesetzt, die dem Leser Konzentration abverlangte.

Wer an seinen Seminaren teilnehmen wollte, musste ohne Handy und Uhr auskommen, durfte auch Titel und berufliche Position nicht nennen. Jeder Anwesende sollte die anderen als Mensch beeindrucken, nicht als Machtmensch. Denjenigen, die sich von ihren Handys partout nicht trennen wollten, weil sie glaubten, unbedingt erreichbar sein zu müssen, gab er die Empfehlung, erstmal ein Seminar zum Thema Arbeitsmethodik und Zeitmanagement zu besuchen - und wiederzukommen, wenn sie sich in der Lage sähen, dem Seminar ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Das wirkte meist.

Wenn er Führungskräfte in Dialektik unterrichtete, dann, um ihnen beizubringen, wie man „den richtigen Gedanken (Logik) mit den richtigen Worten (Kommunikationstheorie) in der richtigen Sprache (Hermeneutik und Linguistik), in der richtigen Rolle (Soziologie), vor dem richtigen Publikum (Psychologie) in der richtigen Intention“ aussprechen solle. Seichte Ratschläge und schnelle Rezepte gab es bei ihm nicht. Wer von ihm lernen wollte, musst sich seiner Arbeits- und Denkdisziplin unterwerfen und das konnte durchaus heissen, tagelang Syllogismen zu üben, bis er fand, dass man leidlich in der Lage sei, schlüssige Argumente zu erkennen und
zu formulieren.

Er sprach leise und zwang damit seine Zuhörer, gut zuzuhören. War jemand in seiner Gegenwart leichtsinnig genug, undurchdachte Meinungen zum Besten zu geben, wurde er schonmal beschieden, er solle gefälligst aufhören, „hemmungslos zu prostituieren, was ihm über die Großhirnrinde husche.“ Für viele Topmanager waren Lays Seminare ein Kulturschock. Nicht wenige reisten für einen lautstarken Auftritt an - und fuhren deutlich leiser wieder ab.

Zahlreiche Lay-Seminare fanden im Hotel „Schafhof“ im Odenwald statt. Im Sommer bezog er für ein paar Wochen ein kleines Haus in der Nähe, das Freunde ihm zur Verfügung stellten und schrieb an seinen Büchern. „Dabei ernähre ich mich fast nur von Haferflocken.“ sagte er. Gern veranstaltete er auch Workshops auf den Malediven oder Feuerte Ventura. Dort konnte er seiner Leidenschaft frönen: Er liebte es, unter Wasser in einer Art Schwerelosigkeit zu meditieren. Wer glaubte, das sei nur ein Vorwand für extensive Tauchgänge, wurde schnell eines Besseren belehrt. Wenn er wieder auftauchte, hatte Lay zur Verblüffung seiner Tauchkameraden nur einen Bruchteil der Atemluft benötigt, den sie selbst verbraucht hatten. Er mochte die Atmosphäre solcher Orte, lebte aber auch dort bescheiden. Wenn seine Seminarteilnehmer es sich in den Hotels und Restaurants gut gehen ließen, blieb er oft abseits und begnügte sich mit einem kleinen Picknick.

Rupert Lay war ein Freigeist und eine durchaus sperrige Persönlichkeit, die viele Widersprüche in sich vereinte. Obwohl er stets seine eigenen Wege ging und deshalb bei vielen Ordensbrüdern in der Kritik stand, blieb er seinem Orden doch lebenslang verbunden. Wenn er etwas für richtig erkannt hatte, ließ er sich auch durch kirchliche Autoritäten nicht daran hindern, es weiterzudenken und auszusprechen. Dort, wo andere einen theologischen Wahrheitsanspruch behaupteten, sprach er schlicht von den Gotteskonstrukten des Christentums. Was ihn nicht daran hinderte, wenn es darauf ankam, „fromm und innig" zu predigen, wie einer seiner Brüder sagte. Er glaubte, dass der Mensch seine Freundschaft zum Leben, zum Lebendigen, wie Norbert Copray schrieb, seine innere Orientierung, auch als Nähe zu Gott erfahren könne: Dialektik war für ihn, im ursprünglichen Sinne des Wortes, die Lehre vom ‘Dazwischen’ und damit Ausdruck der Erfahrung, dass unser Leben zwischen Freiheit und Zwang, Freud und Leid, Vertrauen und Mißtrauen, Hoffnung und Furcht stattfindet.

Lay suchte nach einer Möglichkeit, sich als Mensch mit sich selbst zu versöhnen und das eigene Handeln in einer unübersichtlichen, komplexen Welt an ethischen Maßstäben auszurichten, ohne dabei in eine normative Naivität zu verfallen. Nur wer sich selbst reflektiert, bleibt sich eigener Grenzen bewusst, vor allem dort, wo es um Erkenntnisfähigkeit geht. Denn gerade wer weiss, dass er nichts weiss, wird den Erkenntnisfortschritt, der durch gekonnte Kommunikation mit anderen möglich ist, als Verheißung und Fortschritt erleben.

Fluchtpunkt seiner Philosophie war das Bekenntnis zu der Verpflichtung, mit allem, was man tut, menschliches Leben möglichst zu fördern und zu mehren, anstatt es zu mindern oder zu schädigen. Das legte er den Chefinnen und Chefs ans Herz, die zu ihm kamen. Sie sollten verstehen und respektieren, dass wir Menschen immer zugleich rationale, emotionale und soziale Wesen sind, die ein Recht und einen Anspruch auf Selbstbestimmtheit, Freiheit und daraus abgeleiteter Selbstverantwortung haben. Er hat mit der Unterscheidung zwischen der Liebe zum Leben und der Neigung zum Zerstören einen Gedanken von Erich Fromm aufgegriffen und mit seinem Biophiliepostulat ein ethisches Prinzip für Führungskräfte, ja, für ein gelungenes Leben überhaupt, formuliert: „Handele so, daß du das personale (soziale, emotionale, musische, sittliche, religiöse) Leben in dir und anderen eher mehrst und entfaltest denn minderst und verkürzt.“

Über Konsequenzen, die sich aus diesem Anspruch ergeben, kann man lange nachdenken. Führungskräften, die bereit waren, ihm zuzuhören, es waren wohl mehrere Tausend, legte er damit jedenfalls einen goldenen Kompass in die Hand. Und es verwundert nicht, dass er speziell auch jenen etwas ins Stammbuch schrieb, die ihr Wirken vor allem in den Dienst des Shareholder Value stellten: „Handle so, dass auch in 100 Jahren die Erde noch Lebensraum für Menschen sein kann.“

Wir fühlen uns in unserer Arbeit nicht nur dem Biophiliepostulat verpflichtet, sondern dem Menschen Rupert Lay, dem wir als Lehrer viel verdanken. Er starb im Februar 2023 im Alter von 93 Jahren.

Michael Karl Heidemann

 

 

Ausser auf persönliche Erfahrungen wurde in diesem Nachruf auf folgende Berichte Bezug genommen:
Annette Großbongart: „Kulturschock für Manager“ DER SPIEGEL Nr.38 vom 15.09.1996
Rudolf Jansche: „Biophilie im Unternehmen“, Auf Rupert Lays Spuren, Privatdruck 1995
Peter Strüven: "Worte allein reichen nicht aus“, Auf Rupert Lays Spuren, Privatdruck 1995
Norbert Copray: Rupert Lay - ein Kurzportrait. EthikJahrbuch 2004

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