Nichts versteht sich von selbst
Glanz und Gloria des Silicon Valley verführen gerade Unternehmen die einem eher traditionellen Geschäft nachgehen dazu, sich, sagen wir, ein wenig rückständig zu fühlen.
Sind andere Branchen nicht viel schneller, mutiger und fortschrittlicher? Müssten wir nicht auf manchen Zug aufspringen, bevor er auf und davon ist? Gedanken dieser Art setzen den dringenden Wunsch frei, weiter vorn mit dabei zu sein und führen regelmäßig zu einer Reihe spektakulärer Projekte, mit denen man der eigenen Mannschaft und der Öffentlichkeit klar macht - nicht wer man ist, sondern wer man in Zukunft sein will.
Die Gefahr liegt auf der Hand: die Diskrepanz zwischen dem Anspruch des vorauseilenden Selbstbildes und der Wirklichkeit des betrieblichen Alltags wird nicht zum Ansporn, sondern zu einer Quelle von Zynismus. Der Enthusiasmus des Aufbruchs verdeckt nur unzureichend, dass Themen zwar gefeiert, aber nicht wirklich durchdacht werden. Gerade weil die Nutzung von Big Data, von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz gravierende Folgen für die Menschen im Unternehmen hat, ist es notwendig, offen über Chancen und Gefahren zu sprechen. Immer wieder! Der dafür notwendige Aufwand wird immer noch sträflich unterschätzt. Es reicht eben nicht, in einer Großkonsens-Veranstaltung die digitale Strategie anhand bunter Parolen und cooler Clips zu präsentieren, ein paar Fragen des Publikums vom Podium aus zu beantworten und dann, in der Vorstellung, nun sei alles klar, alle wieder an die Arbeit zu schicken. Enthusiasmus, der nicht ansteckt, erhellt den Horizont so lange wie ein Wetterleuchten. Entsteht bei den Menschen das Gefühl nur einer Inszenierung beizuwohnen, so beginnen sie, sich im eigenen Unternehmen fremd zu fühlen.
Die zentrale Frage lautet: Wie gewinnt man die Köpfe und Herzen für einen neuen Weg? Vielleicht, indem man den Innovationsprozess nicht nur als eine digitale, sondern mehr noch als menschliche Herausforderung begreift. Sich von alten Vorstellungen und Methoden zu lösen, ist nicht einfach, vor allem, wenn sie in der Vergangenheit Garant des Erfolgs gewesen sind. Von einer gewachsenen Identität verabschiedet man sich nicht auf einen bloßen Appell hin. Gleich, wie schnell die technische Entwicklung voran geht, jeder Kopf braucht seine Zeit, um sich neu zu orientieren. Deshalb muss immer wieder darüber gesprochen werden, was es bedeutet, alte Vorstellungen hinter sich zu lassen und sich den Chancen und Herausforderungen der digitalen Entwicklung zu stellen
Es empfiehlt sich, unterschiedliche Dialogformate zu schaffen, in denen alle im Unternehmen eingeladen sind, sich nicht nur zu informieren, sondern vor allem heftig zu debattieren. Es geht eben gerade nicht darum, kurzen Prozess zu machen. Es braucht vielmehr genügend Raum und Zeit dafür, Chancen und Folgen der Digitalisierung von allen Seiten zu beleuchten.
Führungskräften kommt hier eine entscheidende Rolle zu. Je mehr sie zeigen, dass sie selbst Lernende sind, desto besser. Ein Entscheider, der angeblich kapiert hat, wo der Weg hingeht und die anderen aus der Höhe seiner überlegenen Weitsicht nötigt, ihm Gefolg-schaft zu leisten, wirkt nicht wie ein Bote des Fortschritts, sondern wie ein Relikt aus dem unternehmerischen Mesozoikum.
Chefinnen und Chefs sollten ihre eigene Unsicherheit nicht verstecken, sondern ihren persönlichen Erkenntnis- und Wachstumsprozess offen zeigen. Chefs, die nachvollziehbar machen, wie sie sich selbst mit den Freuden und Leiden der Digitalisierung auseinandersetzen, ebnen anderen einen Weg, das auch zu tun - und mit der Zeit ein Verständnis zu entwickeln, das tragfähiger ist, als die vage Hoffnung, „… dass irgend jemand in diesem Laden weiß, was wir hier eigentlich tun.“
Philosophie
In was für spannenden Zeiten leben und arbeiten wir!
Der rasante technologische Fortschritt stellt uns in immer kürzeren Abständen vor neue Herausforderungen. Deshalb kommt es mehr denn je auf die beteiligten Menschen an und ihre Bereitschaft, neue Wege mitzugehen.